Der Staffelauftakt ist vorbei, und wie nach dem Höhepunkt üblich, geht es nun erstmal ruhiger
weiter. Die Zeit wird genutzt, alte Fäden weiterzuspinnen, neue zu knüpfen und bereits vorhandene
zu verbinden. So generiert Episode 2 „Thirty-Eight Snub“ ein dichtes Geflecht, die Basis für die
nachfolgenden Episoden. Sie baut Spannung und Erwartungen auf, und steht damit keinesfalls
hinter den vermeintlichen „Höhepunkten“ einer jeden Staffel zurück. Uns wird gezeigt, wie unwohl
Walter sich zunehmend fühlt. Er hat Angst, er wähnt sich und Jesse nicht länger in Sicherheit und
wie wir es von ihm gewohnt sind, versucht er das Problem zu lösen. Mit der Waffe im Holster
wartet er nur darauf, Gus ein weiteres Mal zu treffen, um ihn endgültig aus den Weg zu räumen.
Nur scheint ihm dieser bereits ein paar Schritte voraus zu sein, was nur noch mehr zu Walts Unruhe
beiträgt. Seit der Entdeckung seiner Krebserkrankung hörte Walter auf, die Dinge hinzunehmen.
Sein Leben, seine Taten, seine Gedanken; er lebte nicht mehr nur vor sich hin, sondern er nahm es
in die Hand und drehte die Dinge zu seinem Vorteil. Was dem Zuschauer am Anfang noch
Verständnis und Mitleid abrang, stellt sich nunmehr regelrecht als Fluch heraus. Walter kann kein
„ja“ einfach so akzeptieren, er muss die Dinge ändern, bis sie nach seinen Vorstellungen laufen.
Wenn wir uns an die zweite Staffel erinnern, gibt es da diesen Augenblick, in dem Walter aus dem
Drogengeschäft aussteigen will und als „Hobby“-Ersatz zum Heimwerker wird, der geradezu
manisch in den eigenen vier Wänden rumtüftelt, nur um sich beschäftigt zu halten. Das wirft die
feine aber wesentliche Frage auf: Ist Walt tatsächlich nur ein Problem-Löser? Es ist doch vielmehr
so, dass Walt selbst die kleinen wie großen Probleme auslöst und hinterher lediglich bemüht ist, die
Konsequenzen zu vertuschen, sie auf Abstand zu halten. Wenn uns die Serie eines sagen will, dann,
dass es diese universelle ausgleichende Gerechtigkeit tatsächlich gibt. Und es ist nicht Gott, es ist
nicht die Vorsehung oder das Schicksal, dass sie heraufbeschwört, sondern wir selbst sind es, die
wir uns mit der Schlechtigkeit unserer eigenen Handlungen verurteilen. Walter ist Henker und
Gehenkter zugleich, ohne dass er es überhaupt merkt. Je tiefer er in den Schlamassel gerät, je gröber
er seine eigenen Grenzen überschreitet, seine Gefühle abtötet und das Menschliche in sich verbannt,
um zu tun, was immer er glaubt tun zu müssen, desto enger wird der Strick um seinen Hals, desto
weniger Luft bleibt ihm zum atmen. Walter hat noch gar nichts begriffen, er ist kein Problem-Löser,
sondern ein Problem-Verdränger. Der Strick der um seinen Hals geschlungen ist, wurde erst von
ihm dort platziert, in dem Moment, in dem er beschloss, zum Wohle seiner Familie seine eigenen
Grenzen zu überschreiten. Das Ergebnis dieser Verdrängungsmechanismen, dieser Weigerung, die
Wahrheit zu erkennen und hinzunehmen, wird uns auch in dieser Folge präsentiert. Wie sagte mein
Mitbewohner so treffend, als er Walt samt Heisenberg-Hut aus dem Auto steigen sah: „Hallo Tod.“
Dieser Hut, so unscheinbar er wirken mag, ist die Kostümierung, die Walter braucht, um zum
Heisenberg zu werden. Es ist kein Serum wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde, sondern es ist dieser
schwarze Hut, der die Transformation vollendet. Walter setzt ihn auf, er schließt die Augen und als
er sie wieder öffnet, ist da nichts Lebendiges mehr in ihnen. Ausdruckslos, starr, tot. Ein Mann, der
seine Gefühle abgetötet hat, um auf diesem Pfad zu wandeln, auf dem Gefühle den Untergang
bedeuten. Der intelligente Walter ist ein Meister darin, sich selbst zu belügen. In dieser Folge hat er
nun Jesse gegenüber einen kleinen „Vorsprung“, wenn man es denn so nennen möchte. Jesse, der im
Staffelauftakt erstaunlich locker mit Viktors Tod umging, hat nun sehr damit zu kämpfen. Um nicht
der furchteinflößenden Stille der eigenen Gedanken, Erinnerungen und des Gewissens ausgesetzt zu
sein, beschallt er sich lieber mit ohrenbetäubendem Krach. Doch schnell zeigt sich, dass die
Laustärke der Subwoofer nicht gegen die Lautstärke des Sturmes in seinem Inneren ankommt, den
er so gerne übertönen möchte. Auch Jesse versucht sich im Abtöten, doch weit weniger erfolgreich
als Heisenberg. Ganz ähnlich wie Walter und doch so weit entfernt voneinander, verhält sich Hank.
Er war ein Polizist, ein Mann, der schon von Amts wegen keine Schwäche zeigen durfte. Und nun
sitzt er tagaus tagein im Bett, scheißt und pisst in eine Bettpfanne und fühlt sich dadurch nicht nur
seiner Männlichkeit, sondern auch seiner Unabhängigkeit beraubt. Da kommt kein flotter Spruch
mehr über seine Lippen, der nicht nur so vor Zynismus trieft. Und er kann es nicht ertragen, in
diesen Momenten der tiefsten Schwäche, in denen er sich total verausgabt, nur um die paar Meter
zum Bett zu schaffen, von Marie beobachtet zu werden, die ihn anfeuert und sich für ihn freut. Für
Hank klingt es wie beißender Hohn und Spott, wenn sie ihm sagt, dass alles bald wieder in Ordnung
ist. Er ist derjenige der gedemütigt wird, wenn er seine Frau darum bitten muss, die Päckchen seines
abstrusen neuen Hobbys nach Lieferschäden zu untersuchen. Marie hat sichtlich damit zu kämpfen,
denn sie ist es, die den verständlichen, aber dennoch ungerechtfertigten Stimmungsschwankungen
ihres Ehemannes ausgesetzt ist. Breaking Bad macht es sich und seinen Zuschauern wirklich alles
andere als leicht. Selbst soetwas im Gesamtkonzept simpel wirkende, wie der Kauf einer
Autowaschanlage stellt sich nun als Problem heraus. Denn Walts ehemaliger Arbeitgeber hat dessen
übereilte Kündigung und seine Beleidigung nicht vergessen. Das nun Skyler auftaucht und ihm in
ihrer ganz eigenen überheblichen Art dieses Kaufangebot unterbreitet, macht die Sache nicht besser
und konnte nur als weiterer Versuch der Demütigung verstanden werden. Wer hätte damit
gerechnet, dass dieser, in der vorigen Staffel sehr oberflächlich behandelte Aspekt der Geldwäsche
nun so viel Probleme bereiten könnte?
„Thirty-Eight Snub“ ist eine hervorragende Wegbereitung für folgende Geschehnisse. Ruhig
erzählt, wie immer sehr stilsicher und schauspielerisch auf hohem Niveau, strickt die Episode mit
feinster Wolle den komplexen und farbenfrohen Teppich, den wir „Breaking Bad“ nennen.
Und ich dachte, es gäbe zu der Folge nicht viel zu schreiben.