Offizielle Statements sagen aus, dass Huell tatsächlich die Zigarette entwendet hat, als er Jesse durchsucht. Wie der Dicke das hingekriegt hat und wieso es nicht zu sehen war, ist denke ich mal künstlerische Freiheit und die Drehbuchautoren sollen auch gar nicht so genau darüber nachgedacht haben. Außerdem, was wäre Huell für ein Taschendieb, wenn man sehen könnte, dass er etwas stiehlt?
So panisch wie Jesse war, spielt es eigentlich auch keine Rolle,
wie er sie verloren hat, wichtig ist nur, dass er zu Walter kam.
Wie heißt es so schön? Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Breaking Bad ist nun einfach an einer Situation angekommen, die auf den Zuschauer recht ausgeglichen wirkt. Der "Bösewicht" ist tot (die Identifikation mit dem eigentlichen Bösewicht funktioniert genau wie beabsichtigt), alles Friede Freude Eierkuchen, so wie Walt in seiner Kurzsichtigkeit glaubt. Das wird wohl das retardierende Moment sein. Obwohl wir wissen, dass Walter sterben muss, wird uns nochmal die illusorische Hoffnung eines Happy Ends in Aussicht gestellt. Und weil wir Walt so sehr lieben und verstehen (wer will, kann das auch als Ironie verstehen), wollen wir uns gerne selbst belügen und den unausweichlichen Konsequenzen nicht ins Auge blicken. Ein Ende nach der vierten Staffel bedeutet, alles aufzugeben, was die Serie vorher aufgebaut hat: Nämlich dem Zuschauer zu zeigen, was gute und was schlechte Handlungen sind, wie er sie unterscheidet, und wo uns diese hinführen. Ja, ein Ende nach der vierten Staffel wäre angenehm, gell?
Aber seit wann ist Breaking Bad angenehm? Ich verstehe das Staffelfinale (nach einigem überlegen) tatsächlich als dramaturgischen Kniff, uns eine geplante Pinkelpause zu gönnen, bevor die eigentliche Katastrophe beginnt und das gesamte Truggebilde in sich zusammenstürzt und jederman unter sich begräbt. (Danke, acid82_ger, ohne deinen Hinweis auf den Aktaufbau im Theater wäre ich nicht auf diese Überlegungen gekommen. Aber dazu später noch mehr.)
Wieso Walter generell Gus vorgezogen wird, ist, weil wir seine Geschichte von Anfang an kennen, Gus' dagegen nur sehr oberflächlich, es wurden nur dramatische Einschnitte seines Lebens preisgegeben. Aber Walter ist keinesfalls anders als Gus. Beide sind skrupellos und rücksichtslos, nutzen andere Menschen für ihre eigenen Interessen, lügen und betrügen zum eigenen Vorteil und sind kaltblütig. Es geht nicht um charakterliche oder physiognomische Ähnlichkeiten, sondern um die Ähnlichkeit in ihrem Verhalten! Und die beiden trennt wirklich nicht mehr viel, obwohl Walter noch ein ganzes Stückchen Weg bevorsteht, um dort hinzugelangen, wo Gus war. Aber er ist auf einem guten Weg.
Breaking Bad konnte man immer an seiner Authentizität messen. Jedoch das hauptsächlich in den psychologischen Aktionen und Reaktionen der Akteure. Breaking Bad war ebenfalls schon immer eine starke symbolische Serie, die oft den begrenzten Raum des Realismus verließ, um seiner Aussage durch symbolische Einstellungen, Nachrichten, und scheinbare Zufälle wesentlich mehr Gewicht zu verleihen. Das gab es in seiner wie ich finde ersten extremen Form bereits in Staffel 2, als das Flugzeug über Albuquerque abstürzt. Wie realistisch bitte war das denn?
Sicherlich muss man manchmal was runterschlucken, was einem nicht ganz so gut schmeckt, aber es ist ein großer Teil von Breaking Bad. In diese Einstellung seines zweigeteilten Gesichts (als Gus im Moment seines Todes) lässt sich eine Menge reininterpretieren. Ich bin daher geneigt, diese Szene nicht als "unrealistisch" zu bezeichnen, sondern als "symbolträchtig" und als weiteren Beweis für die Rolle des unbarmherzigen Schicksals, dass uns genau das zurückgibt, was wir verdienen. BB war in der Hinsicht nie besonders realistisch, wie oft kommen die "Bösen" denn im echten Leben davon? In Breaking Bad kommen sie nicht davon. (Mir kommt gerade "Final Destination" in den Sinn
)
Ich kann mir gut vorstellen, dass die schlussendliche Rücksichtslosigkeit und Unvorsichtigkeit von Walter
und Gus dazu führen wird, dass die DEA und/oder das FBI schnell wieder mit im Spiel sind. Walter war in Panik und hat nicht wirklich alles durchdacht, nur eben bis Gus Tod. Er war so versessen darauf, dass ihm im Siegestaumel wohl noch gar nicht bewusst ist, was er damit losgetreten haben könnte. Gus selbst war am Ende auch fahrlässig, aber der hat seine Rechnung ja schon bekommen.
Nun bleiben da aber noch immer eine Menge Fragen, die sich zumindest einer, nämlich Hank, stellen wird.
Irgendwann werd ich mir mal die Mühe machen und zu jeder Episode eine ausführliche Review schreiben... Oder eine Doktorarbeit über Breaking Bad.XD
Aber gehen wir die 5 Akte nochmal genau durch, und rekapitulieren:
- Exposition
"bezeichnet die wirkungsvolle Einführung des Zuschauers in Grundstimmung, Ausgangssituation, Konflikte, Zustände, Zeit, Ort und Personen des Stückes und bereitet für das Verständnis wichtige Voraussetzungen vor, die zeitlich auch deutlich vor Beginn der eigentlichen Bühnenhandlung liegen können."
Walts Vorgeschichte wird in Flashbacks erläutert, er macht seine ersten positiven und negativen Erfahrungen mit dem Drogengeschäft. Der erste Akt endet mit offener Spannungskurve (wer weiß, ob hier der Autorenstreik was verpfuscht hat?)
- Steigende Handlung mit erregendem Moment
Walter gerät tiefer in den Sumpf aus Verbrechen und entwickelt antagonistische Charakterzüge. Staffel endet mit einem sprichwörtlich großen Knall, dem erregenden Moment, in dem uns bewusst wird, dass Walts Handeln große Konsequenzen nach sich zieht, Konsequenzen, die er niemals imstande ist abzuschätzen, aufzuhalten, oder zu rechtfertigen (auch wenn er es versucht).
- Höhepunkt und Peripetie
"Peripetie in diesem weiten Sinne ist ein Umschwung der Handlung, wodurch die Katastrophe oder die Lösung des Problems eingeleitet wird. Der Umschwung sollte sich möglichst aus der Handlung selbst ergeben, nicht übernatürlichen Ursprungs sein und auch nicht von außen kommen."
" Besonders starke Wirkung entfaltet die Peripetie, wenn sie mit einer Anagnorisis, dem plötzlichen Erkennen einer Person oder eines Sachverhalts, kombiniert wird."
Darüber lässt sich streiten, aber als dramatischen Höhepunkt würde ich den Mord von Gale durch Jesse bezeichnen, der die dritte von der vierten Staffel trennt und die erste Handlung ist, die aus ungetarnt egoistischen Motiven heraus begangen wird, nämlich um die eigene Haut zu retten und einem anderen bewusst zu schaden. Damit ist die Entwicklung zum Antagonisten abgeschlossen und der zweite Teil des Theaterstücks kann beginnen. Jesse erkennt die Schlechtigkeit seiner Handlung und findet sich damit ab. Katastrophe und Lösung treten zur gleichen Zeit ein. Das Gale-Problem ist gelöst, die Gus-Katastrophe tritt ein.
- Fallende Handlung mit Retardierendem Moment
"ist eine Szene im Handlungsverlauf eines Dramas, die die Höhepunktentscheidung hinauszögert, indem sie das Eintreten des Gegenteils des Erwarteten noch einmal sehr wahrscheinlich macht. Hier steigt die Spannung noch einmal an.
In der Tragödie bezeichnet das retardierende Moment ein Ereignis, welches dazu führt, dass man die trügerische Hoffnung auf die (noch denkbare) Rettung des Helden erhält."
Wir genießen den Sieg Walters und wünschen uns ein Happy End, in dem Wissen, dass es keines geben wird.
Die "Fallende Handlung" ist das vergleichbar ruhige Schachspiel von Walter und Gus, das zuerst eindeutig wirkt und letzten Endes alle überrascht.
- Katastrophe
"führt zur Kátharsis, die in der Regel mit dem Tod des Helden verbunden ist. In der Komödie führt es zum Happy End, traditionell also zu einer oder mehreren Eheschließungen."
Na dann spekuliert mal.
Die Läuterung von Walter wünsche ich mir schon lange. Sie muss logischerweise am Ende eintreten. In vielfacher Form habe ich solcherlei Szenarien bereits beschrieben und heraufbeschworen. Aber die Katharsis ist erst die Folge elend langen Leids und der letztendlichen Anerkennung der eigenen Schuld.
Ich würde mich gerne intensiver mit dieser Akt-Dramatik auseinandersetzen.
EDIT: Kleine Änderungen im Text. Ich mach schon so schnell ich kann.
°
Ich bin oben auf die Ähnlichkeit von Gus und Walter eingegangen.